Welches demokratische Wahlergebnis ist denn nun das Demokratischere? Das der Wähler, oder das was nach Hinterzimmer-Vereinbarungen oder intriganten Tricksereien zu Stande gekommen ist? Mein Demokratie-Verständnis war bisher: Die größte Fraktion stellt den Regierungschef/ die Regierungschefin und jeder demokratisch gewählte Abgeordnete sollte sich, so er/sie denn verantwortungsbewusst mit seinem Mandat umgeht, an diese einfache Grundregel halten können!
Von allen Seiten rufen mal wieder alle durcheinander. In Thüringen ist eine Situation entstanden, die es unmöglich macht eine echte demokratische Regierung zu Stande zu bringen. Schlimmer noch: Die Demokratie wurde rundweg auf den Kopf gestellt! Galt doch bisher die simple Regel, Mehrheiten entscheiden und die vom Wähler mehrheitlich zur größten Fraktion gewählte Partei stellt den Regierungschef. In Thüringen wurde diese simple demokratische Regel irgendwie verzerrt, denn ja der MP ist mit einer Stimme Mehrheit und somit demokratisch ins Amt gewählt. Doch nein, der Wähler hat ihm diesen Auftrag überhaupt nicht erteilt. Im Gegenteil! Gerade mal 5% der Wähler haben überhaupt entschieden, dass sie die FDP im neuen Landtag wichtig finden. Knapp die Hälfte aller abgegebenen, gültigen Stimmen wollte, zumindest nach meinem Demokratieverständnis, keine konservative geschweige denn rechts-nationalistische Regierung im Land. Über 30% haben mit ihrer Wahlentscheidung sogar den bisherigen Ministerpräsidenten deutlich unterstützt. Meinem Eindruck nach scheint es, als hätte manch SPD oder Grünen Wähler bei dieser Wahl seine Stimme sicherheitshalber gleich an die Linke gegeben, um einen Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten zu behalten.
Nun ist es ja nichts Neues, dass „Ausschließerites“ vor einer Wahl zu Problemen nach der Wahl führen. In einem demokratisch gewählten Parlament sind ALLE! dazu verpflichtet, im Sinne der Bürger des Landes zu agieren. Dazu braucht es Kompromissbereitschaft die gelegentlich auch fies weh tun kann. Doch gerade in Thüringen, scheint es ein sehr eigenartiges Demokratieverständnis zu geben. Denn nachdem die Parteien des linken Spektrums ja bereits eine Wahlperiode lang gezeigt haben, dass es auch unter einem Ministerpräsidenten von der Linken, den sie bis dahin als Koalitionspartner wohl eher ausgeschlossen hätten, funktioniert gute Politik zu machen, reden die anderen Parteien immer noch von SED-Nachfolger und Sozialisten bis hin zu Kommunisten. Anders herum wurde aber gerade von der Thüringer AfDussel versucht (erschreckend erfolgreich) rechtsextremes Gedankengut wieder hoffähig zu machen. Also steht auf der linksaußen Seite ein gemäßigter, weder sozialistisch noch kommunistisch zu bezeichnender amtierender Ministerpräsident, der noch dazu wohl sehr beliebt ist als Landesvater. Auf der rechtsaußen Seite steht ein waschechter Faschist, der mehr als einmal sehr klar ausgesprochen hat, dass er sich als neuer Führer eines „Bereinigten Deutschen Volkes“ sieht. Es geht also nicht darum, die bürgerliche Mitte wieder zu finden, oder gar um die Umsetzung von demokratischen Wahlergebnissen, sondern ausschließlich darum, einen linken MP abzuschießen (und diese Wortwahl ist kein Versehen) Es geht um konservative Ideologien, die sich offenbar dem ganz Rechten Lager näher fühlen.
Ok, noch beim Schreiben dieses Artikels vollzieht die FDP eine Kehrtwende und beantragt Neuwahlen.
Thüringens Ministerpräsident Thomas Kemmerich will den Weg frei machen für eine Neuwahl des Landtags. Das sagte der FDP-Politiker vor Journalisten in Erfurt. Seine Fraktion werde die Selbstauflösung des Parlaments beantragen, „um damit den Makel der Unterstützung durch die AFD vom Amt des Ministerpräsidenten zu nehmen“.
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„Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten, die sich offensichtlich in diesem Parlament nicht herstellen lassen“, erklärte Kemmerich. Die AFD habe mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu beschädigen. Dem weiche die FDP aus.
erklärt der Kurzzeit MP vor laufenden Kameras
Nun ist es also „der perfide Trick der AfD“ der die Demokratie beschädigt hat? Ach und die FDP weicht aus, etwa zum Schutze der Demokratie? Als es darum ging, mit ungewöhnlichen Mehrheiten eine Bundesregierung zu stellen, die verhindert hätte, dass die AfD Oppositionsführer wird und die dieser schönen Republik eine weitere Koalition der faden Kompromisse (GroKo) erspart hätte, da ist die FDP auch ausgewichen. Seit dem wird von der Seitenlinie immer wieder gegen die Regierenden geschossen (ok, da passt nun wirklich keine andere Formulierung). Es ist noch kein ganzes Jahrhundert her, da haben sich sowohl innerhalb des Parlamentes, als auch von außerhalb Demokratiefeinde durchgesetzt, in dem sie auf unterschiedlichsten Wegen die Handlungsfähigkeit der Regierung demontiert haben. Genau das ist es, was sich aktuell erneut abzuspielen scheint. Die Regeln der Demokratie werden ausgenutzt, um die Macht zu erlangen, mit der die freiheitlich demokratische Grundordnung zerstört werden kann. Nein, nicht jeder der Kritik an der aktuellen Politik übt ist ein Faschist. Nein nicht jeder der unzufrieden mit den aktuellen politischen Entscheidungen ist, will die Regierung stürzen. Aber jeder, der die Augen verschließt und nur noch die Propaganda rechter Hetzer hört, trägt seinen Teil dazu bei, dass es in unserem Land schlechter wird. Die 5% Hürde wurde einst eingeführt, um ein zerflettern der Parteien Landschaft zu vermeiden. Es zeigt sich immer deutlicher, dass dieser Gedanke durchaus gerechtfertigt ist. Mit jeder Wahl bei der die Parteien-Landschaft in den Parlamenten größer wird wachsen auch die Probleme eine stabile Regierung zu Stande zu bringen. Je fragiler jedoch eine Regierungskoalition, desto schwieriger wird es politische Handlungsaufträge klar und verlässlich umzusetzen. Ein Teufelskreis, der unweigerlich zum Tode der Demokratie führen muss, wenn es nicht gelingt, die wahlberechtigten Bürger die ihre demokratischen Rechte einfordern davon zu überzeugen ihrer demokratischen Pflicht verantwortungsbewusst nachzukommen.
Ein kleiner Nachsatz noch: Trotzdem ich sehr politisch interessiert, engagiert und informiert bin ist mir noch kein inhaltliches Argument von Seiten der CDU oder der FDP untergekommen, mit dem diese ganze Aktion begründet wurde. Linke, Grüne und Sozialdemokraten in Thüringen haben ein umfangreiches Koalitionspapier erarbeitet und beschlossen. Doch nicht ein einziger Punkt aus diesem Regierungspapier wurde von den „Putschisten“ genannt, um dieses gefährliche Spiel mit dem Feuer zu rechtfertigen. Mögen sich besonders diejenigen, die meinten mit ihrer vermeintlichen Protest-Wahlentscheidung eine „bessere“ Politik für ihr Land zu erreichen, doch bei den offenbar anstehenden Neuwahlen noch einmal genauer damit auseinander setzen, was in diesem Regierungspapier stand. Womöglich wurde ja genau das jetzt verhindert, was das eigene Leben verbessert hätte.