Da sitzt er nun, der eigentlich junge Mann mit den weißen Haaren, in einem kleinen Raum mit abgeklebten Scheiben, in einer Botschaft in London. Neurotisch, Paranoid, vom Verfolgungswahn gehetzt schauend, so die Kommentare derer, die beim Convention Camp in Hannover das Skype Interview verfolgt haben. Julian Assange der Mann der „Transparenz“ zum wichtigsten Begriff weltweit gemacht hat. Seiner Überzeugung nach gibt es nichts, was nicht transparent öffentlich dargestellt werden kann. Genau er ist es, der eine Heidenangst davor hat, dass irgendetwas über ihn öffentlich wird… Heute zumindest.
Tatsächlich ist es gefährlich Transparenz zu „unbedingt“ zu leben, denn viele Informationen Schaden mehr als sie nutzen, wenn sie für jeden ungefiltert zugänglich sind. Es ist also wichtig genau zu überlegen ob das öffentlich machen der Information wirklich etwas nutzen kann. Es scheint unmöglich, unbedingte Transparenz zu schaffen, ohne das dabei Menschen zu Schaden kommen. Am Beispiel der Kriegsbilder mit denen WikiLeaks und damit Julian Assange zu dieser zweifelhaften Berühmtheit gekommen ist, wird das sehr deutlich. Wem hat es genutzt, dass diese erschreckenden Bilder/Filme öffentlich gemacht wurden? Der Plattform die das veröffentlicht hat auf jeden Fall. Dem Mann dahinter, im ersten Moment auch, denn dadurch wurde er zum „Rockstar der Internetwelt“. Für jemanden, der auf Berühmtheit Wert legt, sicherlich ein Erfolg. Doch zu welchem Preis sind diese „Erfolge“ zu Stande gekommen? Der Preis den Assange zahlt, ist dabei noch in meinen Augen in Ordnung, denn er hat ja auch einen Nutzen von der ganzen Aktion gehabt. Es gibt aber nun einmal eine Reihe von Menschen, die dafür zahlen müssen, ohne das sie Einfluss darauf hatten, weder auf das Geschehen selber, noch auf die Veröffentlichung. Die Soldaten im Kriegseinsatz, die eben nicht Krieg mit einem Computerspiel verwechselt haben. Die diese Einsätze verantwortungsbewusst und mit dem ihnen gegebenen Augenmaß gefahren sind. Mit den Informationen die da ungefiltert öffentlich gemacht wurden, sind ja nicht nur diejenigen an den Pranger gestellt worden, die „verantwortlich“ waren, sondern gleich alle miteinander. Assange meint, dies seien Kollateralschäden die akzeptabel sind, im Sinne der Aufklärung. Ich meine, wer gibt ihm das Recht darüber zu entscheiden? Nur der Ordnung halber: Wer mich kennt, oder auch wer diesen Blog hier öfter liest, weiß ich bin eine Kämpferin für transparente Informationspolitik. Wissen und Bildung sind für mich die wertvollsten Güter die es im 21sten Jahrhundert gibt und „Herrschaftswissen“ hat ausgedient! Es braucht aber sicher noch einiges an „Bildung“ bei vielen Menschen, damit echte Transparenz konsequent möglich wird.
„Wenn du Transparenz predigst, musst du auch selber transparent arbeiten“ so Daniel Domscheid Berg zu Julian Assange. Dieser Satz könnte ebenso als Überschrift dienen, denn genau da liegt der Ursprung allen Transparenz Übels. Das heiße Spiel mit heißen Informationen, dabei haben sich auch andere oft die Finger verbrannt. Wer kann entscheiden, welche Information für wen richtig ist? Vor allem aber, wie viele Informationen müssen mit geliefert werden, damit Zusammenhänge verstanden werden? Können wir unserer heutigen Gesellschaft schon jede Information „zumuten“? OK, in meiner eigenen politischen Arbeit, kann ich das. Da bin ich ja sogar davon abhängig, dass ich alle Informationen bekomme, damit ich richtig entscheiden kann. Dafür bin ich natürlich auch bereit, mein Handeln und alles was im Zusammenhang mit meinen Entscheidungen steht transparent aufzuzeigen. Das genau ist es ja auch, warum ich sehr gründlich überlege, bevor ich handle. Ich stelle mir vorher die Frage, kann ich jeden Schritt meines Handelns später offen dokumentieren ohne Probleme zu bekommen? Tatsächlich stellt sich oft heraus, dass die Fälle in denen es dann doch Ärger gab, genau daran krankten, dass mir relevante Informationen fehlten.
Alles zu seiner Zeit!
Transparenz ist eine Zeitfrage. Diese Erfahrung macht ja auch die Piraten Partei aktuell immer wieder. Die Piraten werden gemeinhin ebenfalls als „Kinder der Transparenz“ gesehen, waren sie es doch, die allen „klassischen“ Politikern den Kampf angesagt haben, mit ihrer Forderung nach unbedingter Transparenz. Diese Forderung unterstütze ich sehr…ABER… Es bedarf eben einem wirklich guten Augenmaß zu entscheiden, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt wem transparent gemacht werden. Ist zum Beispiel eine Idee noch kaum geboren und wird sofort herausgerufen, stirbt sie doch noch in den Wehen. Strategie und Konzept sind nun einmal unumgänglich, damit aus Ideen auch Handeln werden kann. Gründlich durchdachte Strategien entstehen aber eben nur im „geschützten Raum“ und nicht öffentlich. Das „Wissen der Vielen“ ist sicher für einige Punkte einer politischen Entscheidung wertvoll und kann auch unpopuläre Entscheidungen auf breite Füße stellen. Besteht aber für eine Entscheidung Zeitdruck, dann kann Transparenz im laufenden Prozess nun einmal nur schaden. Wenn Entscheider mehr Zeit damit verbringen, Zusammenhänge zu erklären, damit der aktuelle Stand ihrer Entscheidungsfindung für jeden nachvollziehbar ist, dann haben sie nicht mehr die nötigen Ressourcen selber alle relevanten Informationen zu bekommen und zu verarbeiten, die es für die beste Entscheidung braucht. Diese Erfahrung machen eben die „Kinder der Transparenz“ gerade, denn in den simpelsten Entscheidungsprozessen verzetteln sie sich in Diskussionen die meist weit an der Sache vorbei im „ich will auch noch mal was Schlaues sagen“ Nirwana enden.
Macht und Transparenz
Zwei Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen? Offensichtlich nicht, denn Julian Assange hat ja eine gewisse Macht erlangt, damit das er Informationen öffentlich gemacht hat. Doch ist das wirklich das Ziel aller Transparenz Forderungen? Ich meine nein… Ziel muss doch sein, dass eben diejenigen die diese Informationen „produzieren“ auch für deren transparente Weitergabe verantwortlich sein müssen. Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen, dass ist für mich das „Zauberwort“ das hinter dem imaginären Transparenz Begriff steht. Macht erlangen damit, Informationen über andere öffentlich zu machen, dass ist doch warum die Presse als „Die viere Macht“ bezeichnet wird. Investigativer Journalismus wäre ja vom Aussterben bedroht, wenn alle und jeder immer alles ganz und gar von sich aus öffentlich macht… ach?!?
Noch ein Transparenz Opfer?
Ja, die Presse ist eben auch eines der „Kinder der Transparenz“. Lebt guter Journalismus doch davon, Informationen zu Tage zu fördern und öffentlich zu machen, die andere vielleicht gerne geheim oder wenigstens noch ein wenig länger nicht öffentlich gehalten hätten. Welche Daseinsberechtigung haben Journalisten denn noch, wenn alles immer transparent kommuniziert wird? Sind sie dann nur noch „Aufbereiter vorhandener allgemein bekannter Informationen“? Vielleicht ist es aber einfach auch nur ein wenig umständlicher, investigativ zu arbeiten. Denn noch gibt es ja genug „Leichen in den Kellern“, wenn diese dann mit so vielen Informationen überlagert werden, dass keiner sich mehr die Mühe macht durch all diese Transparenz zu buddeln. Da ist dann ja noch für lange die Spürnase mit dem richtigen Instinkt für echte Nachrichten gefragt…
Der Maja Kalender hat ja vielleicht das gemeint
Das Ende der Welt, die von Glauben bestimmt wird. Aller Orten hört man die und der haben ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ oder „Wir müssen an unserer Glaubwürdigkeit arbeiten“ und eben „Mit Transparenz werden wir wieder glaubwürdig“. Ja, die Menschen glauben eben nicht mehr alles. Doch wird Politik zum Beispiel glaubwürdiger bzw. Politiker, wenn sie alle Informationen offen kommunizieren? Glaubt der echte Verschwörungstheoretiker denn, dass der transparent daher kommende Politiker die Wahrheit sagt? Vor allem, was ist denn jetzt die „Wahrheit“? Es gibt in vielen Themen ja einige Wahrheiten die je nach Blickwinkel unbedingt wahr oder falsch sein können. Also wieder die Frage, wer entscheidet denn nun, was die richtige allgemein gültige Wahrheit ist? Das ist, warum ich Mathematik so liebe… 1+1=2 egal ob es dabei rote, grüne, schwarze oder orange Zahlen sind, es führt immer zum selben Ergebnis. Warum ich meinen Mathe Lehrer weniger mochte als die Mathematik? Ganz einfach, er wollte von mir immer den richtigen Rechenweg wissen und hat sich nicht davon überzeugen lassen, dass es doch egal ist, wie ich zu dem Ergebnis gekommen bin, solange es das richtige Ergebnis ist. Vielleicht ist das ja, was aktuell so schwierig ist, besonders in der politischen Entscheidungsfindung. Jeder meint den richtigen Rechenweg zu kennen und verliert dabei aus dem Auge, dass doch das Ergebnis zählen sollte. Bei all der Diskussion über den Rechenweg wird aber genau das oft völlig verfehlt, das richtige Ergebnis.
Gesunder Menschenverstand und ein Gewissen machen Transparenz überflüssig
Mir scheint, wenn sich jeder in seinen Handlungen darauf besinnt, was ihm sein gesunder Menschenverstand und sein Gewissen sagen, wenn Entscheider auch die Verantwortung für ihre Entscheidung übernehmen müssen und vor allem, wenn jeder für sich selber Verantwortung übernimmt, dann wird die ganze „Transparenz Debatte“ wesentlich leiser werden. Wenn das Rauschen leiser wird, so das eben auch geschützte Räume dazu führen, dass jeder seine eigenen Gedanken „hören“ und zu Ende denken kann, wenn also alle Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst werden bevor entschieden wird, dann wächst diese Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Das genau ist meine Definition von Politik… Verantwortung übernehmen und zwar zuallererst einmal für sich selber, für das eigene Handeln, dann braucht auch keiner Transparenz zu fürchten und kann auch davon nicht gefressen werden.
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